Die Ausbreitung von Covid-19 und die damit einhergehenden Folgen rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur sowie die gesundheitlichen und teilweise tödlichen Konsequenzen für die Erkrankten waren vor einem Jahr kaum vorherzusehen. In diesem Jahr ist die Redewendung „auf Sicht fahren“ zum festen Teil unseres Wortschatzes geworden – insbesondere in betriebswirtschaftlichen Kontexten der betroffenen Unternehmen und Branchen. Aber auch ohne die Corona-Krise stellen sich Unternehmen einer schnelllebigen Welt, die ihre Herausforderungen in immer kürzeren Abständen präsentiert – ob technischer Fortschritt, rechtliche Rahmenbedingungen oder kulturelle und politische Bewegungen.
Können es sich in dieser Zeit Unternehmen noch leisten, ihr strategisches Management und Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarungen im Jahresrhythmus oder noch längeren Zyklen zu gestalten?
„Wir können die Zukunft nicht voraussagen, aber wir können sie gestalten.“
(Peter Drucker)
Digitalisierung – Internet – VUCA
Die Mechanismen und extremen Ausprägungen, die das Internetzeitalter mit sich gebracht haben, sind schon lange nicht mehr neu. Vier der zehn reichsten Menschen der Welt sind innerhalb weniger Jahren mit IT-Unternehmen reich geworden. Auch außerhalb der IT-Branche befähigt die Digitalisierung und das Internet Unternehmen dazu, schnell zu wachsen und binnen weniger Jahre Märkte und Branchen neu zu gestalten. Der Lieferdienstbetreiber Delivery Hero ist weniger als zehn Jahre nach seiner Gründung in den DAX aufgestiegen. Letzte Woche wurde bekannt, dass das erst 2016 wiedereröffnete Unternehmen Flaschenpost für eine Milliarde Dollar an die Oetker-Gruppe verkauft wurde. Im November 2020 kann uns nichts davon mehr wirklich überraschen.
Auch die meisten Unternehmenslenker kennen und verstehen diese Dynamik, aber nur wenige passen ihr strategisches Management und Instrumente an die neue Dynamik und Komplexität der Zeit an. Das Akronym VUCA (volatility ‚uncertainty ‚ complexity ‚ ambiguity) wurde bereits in den 90er Jahren erdacht. Der Handlungsdruck bei gleichzeitiger Unplanbarkeit ist in diesem Jahrzehnt allerdings aktueller und umgreifender als je zuvor. Gerade in vermeintlich IT-ferneren Branchen wie dem Gesundheit- und Sozialwesen werden Themen der Digitalisierung entscheidendes Schlüsselelement, um nachhaltig am Markt bestehen zu können. Gesundheits-Apps und Plattformen erscheinen in hoher Taktung – branchenrevolutionierende und dominierende Entwicklungen scheinen auch hier nur noch eine Frage der Zeit.
Etablierte Instrumente regelmäßig hinterfragen und manchmal neu erfinden!
Viel von dem, was in den IT-Unternehmen der 90er und 00er Jahre im Bereich des strategischen Managements und des Projektmanagements entwickelt und angewendet wurde, wird von Beratern mit Heilsversprechen und überzogenen Vorteilen angepriesen. Der Weg der Erfahrung mit unbedarft übernommenen und nicht passend umgesetzten Ansätzen (Reizwort „Agiles Projektmanagement“) war für viele Mitarbeitende ein schmerzlicher. Etablierte und funktionierende Ansätze und Instrumente wurden zu schnell über Bord geworfen. Das Argument, dass wenn jemand anderes mit einem Instrument Erfolg hat, ich auch mit diesem Instrument erfolgreich sein muss, ist ein augenscheinlicher Trugschluss, der zu häufig in Hoffnung auf maßlose Erfolgsversprechen ignoriert wurde.
Wichtig ist es, die Mechanismen – oder expliziter die Kausalitäten – zu verstehen, die den Erfolg ausmachen. Andersherum ist es wichtig zu verstehen, wo möglicherweise etablierte Instrumente Schwächen haben oder in Anbetracht der sich geänderten Gesamtsituation scheitern. Offensichtlich wird dies meiner Meinung nach im Bereich des Steuerungs- und Führungsinstrumentes „Zielvereinbarungen“.
Zielvereinbarungen – kein Patentrezept, aber viele Fallstricke
Zielvereinbarungen sind eines der effektivsten und in Deutschland branchenunabhängig weitverbreitetsten Unternehmensinstrumente. Sie dienen der Harmonisierung individueller Mitarbeitendenziele mit denen der Abteilung bzw. des Gesamtunternehmens. Es handelt sich um ein Instrument, das bei erfolgreicher Anwendung nicht nur dazu dient, individuelle Ziele auf die Unternehmensvision auszurichten, sondern vielerorts auch die variablen Vergütungsanteile der Mitarbeitenden determiniert.
Die Ausgestaltung des Zielvereinbarungsprozesses ist dabei vielschichtig und häufig historisch gewachsen. Haben sich feste (Fehlanreiz-)Strukturen entwickelt, kann dieses Instrument zu suboptimalen Arbeitsfokussen führen und erheblichen Schaden in der Unternehmenskultur verursachen. Es gibt kein allgemeines Patentrezept für die Festlegung der drei wesentlichen Ausgestaltungsdimensionen Art der Zielformulierung (Umfang, Skala der Zielgröße, Spezifität), Prozess der Vereinbarungserstellung (Format der Vereinbarungserstellung/-kommunikation, Frequenz, Transparenz) und Konsequenz des Leistungsergebnisses (Vergütungskomponente, Reputation, Beförderungsbedingung), aber es gibt sicherlich veraltete Ansätze und typische Fehler. Meine persönlichen Favoriten finden sich in der folgenden Abbildung.