DigitalRadar Krankenhaus – Was denn jetzt noch???

Ganz ehrlich, meine Statistiker-Euphorie über die Quasi-Vollerhebung des digitalen Reifegrads deutscher Krankenhäuser ist verflogen. Ich kann nicht genau festmachen, wann sie verlorengegangen ist – vielleicht bei den unzähligen Unschärfen, die zurecht zu ewigen Diskussionen mit den zuständigen Abteilungen geführt haben? Bei der fehlenden Berücksichtigung der Besonderheit für psychiatrische Kliniken? Bei den Nachfragen in der Datenplausibilisierung – Wochen nach dem avisierten Termin und mitten im KHZG Umsetzungsstress? Oder mit Erhalt des Teilnahmezertifikats (welches für viele das hauptsächliche Motiv der Teilnahme darstellen dürfte)?

Ging das nicht besser?

Als für den vergangenen Freitag dann ein Webinar zur Vorstellung der Ergebnisse angekündigt wurde, war ich fast emotionslos. Warum kann ich die Ergebnisse eigentlich nicht direkt im Portal einsehen? Egal – neugierig war ich dann doch, aber meine Unzufriedenheit über viele Aspekte der Fragengestaltung und des Prozesses waren noch nicht verflogen. So ging es augenscheinlich auch vielen anderen Teilnehmenden, die Ihren Frust – Pardon! – ihr kritisches Feedback im Chat platzierten.

  • Wie können wir echte Interoperabilität schaffen, wenn die KIS-Hersteller diese nicht (konsequent) umsetzen?
  • Der Wechsel des KIS ist für die meisten keine realistische Option – offene Systeme, die auf eine KIS-Anwendung warten ist andersrum ziemlich spaßbefreit.
  • Wer ist schneller: Die Inflation oder die Antragsbewilligung durch das BAS?
  • Wie soll die zweite Messung Mitte 2023 eine Veränderung zeigen, wenn bis dahin die meisten geförderten Projekte noch nicht umgesetzt wurden?
  • Wie bekomme ich motivierte Mitarbeitende akquiriert, um meine Personallücke in der IT zu schließen?
  • Ergibt das Benchmarking bei den Unschärfen und Verzerrungen überhaupt einen Sinn?

Während der Chat noch über die Fördermittel und die stark gestiegenen Anbieterpreise sinniert, stellt sich bei mir, wie so häufig beim Blick in die langen Listen der Einführungsprojekte KHZG, ein flaues Gefühl im Bauch ein. Anschlussfinanzierungspanik. Wie geht es eigentlich in drei Jahren weiter? Bin ich der Einzige, der das Gefühl hat, dass aktuell zu viel, zu teuer eingekauft und betrieben wird? Die Fördermittel stellen alle Ampeln auf grün und die Sanktionierungsandrohung peitscht die Projekte voran, aber wie die Betriebskosten nach der Anschubfinanzierung gestemmt werden sollen, bleibt offen. Mir macht das Sorgen. Wir werden 2025 in der Krankenhaus-IT viel aufräumen, konsolidieren und optimieren müssen – da bin ich mir sicher.

Der Blick in den Status Quo – Ein Blick in die Vergangenheit

Eine Erhebung von Daten über ein Webportal zum Thema Digitalisierung. Das schreit ja förmlich danach, dass es eine Auswertung über ebendieses Portal als Dashboard gibt. Aber was dauert daran eigentlich so lange? Meine Studierenden programmieren im Tutorium binnen 90 Minuten ein ansehnliches Dashboard. Selbst wenn man ein paar Performance- und Designaspekte berücksichtigt, verstehe ich nicht, warum das Dashboard nicht einfach mit finaler Abgabe der Erhebung zur Verfügung steht. So etwas neu aufzusetzen ist aus technischer Sicht kein großer Zauber.

Aber vielleicht steht das Dashboard ja auch sinnbildlich für die Digitalisierung in deutschen Krankenhäusern. Die Idee leuchtet erstmal ein, aber in der Umsetzung dauert es länger als geplant, das Ergebnis ist weniger anwenderfreundlich als erhofft und irgendwie lebt man schon mit der Einführung wieder etwas in der Vergangenheit (in diesem Fall sieht man den 8 Monate alten Status Quo).

Besser unvollkommen machen, als perfekt lassen

Unterm Strich muss man aber auch festhalten, dass aller Unschärfe zum Trotz der Digitalisierungsgrad flächendeckend erhoben und alle Krankenhäuser und deren Entscheidende für die Thematik weiter sensibilisiert wurden. Oder wie es ein Teilnehmer im Chat formulierte: „Warten wir ab, was die Auswertungen im Management bewirken.“ Auch ich bin gespannt, nicht weil ich denke, dass die Ergebnisse irgendwen überraschen werden, noch die Benchmarkings aufgrund unzureichender Vergleichbarkeit ernst genommen werden, sondern weil ich glaube, dass sich die Dimensionen und einzelnen Fragen eignen die digitale Reife des eigenen Hauses zu reflektieren und eine Denkstruktur für die bevorstehenden KHZG-Themen und deren Umsetzung zu haben.

Vielleicht gebe ich die Hoffnung doch noch nicht auf, dass eine Statistik zur digitalen Reife die Welt verändern kann und vielleicht werden ja die Hinweise in der Begleitevaluation ernstgenommen. Genügend Feedback habe ich.

Kommentare

Keine Sorge... Sie sind bei den Bedenken zu den Betriebskosten nicht alleine. Ich habe schon vor Monaten auf verschiedenen Wegen (LinkedIn, XING, Krankenhaus-IT Journal) erhebliche Bedenken hinsichtlich der offenen Betriebskostenfrage formuliert und darauf hingewiesen, dass sich dieses Thema u.a. nicht über die InEK-Kalkulationen auflösen lassen wird. Wenn man die Betriebskosten für HW und SW mit durchschnittlich 20% p.a. vom Investitions-(Förder-)Volumen annimmt, dann ergeben sich unter Umständen dramatische Bedarfe um die "Projekte" in der Folge laufend zu finanzieren. Bei ausgeschöpften 4,3 Milliarden Förder-Volumen rechnerisch sogar 860 Millionen p.a. (!) zusätzlich über die Finanzierung der Kostenträger (Betriebskostenfinanzierung). Das wird wohl nicht passieren...
von Michael Thoss am 15.02.2022
Wunderbarer Kommentar :-)
von Andreas Becker am 15.02.2022

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