Wir rennen dem Ziel entgegen, kommen aber nicht voran. DMEA spannt den Möglichkeitenraum auf - glänzt und frustiert

„Schön Sie (wieder) zu treffen“ – selten habe ich diesen Satz so oft an einem Tag gesagt und dazu noch ernst gemeint. Auch digitale Enthusiasten sehnen sich nach analogen Kontakten, Gesprächen und Small-Talk abseits der funktionalen Videokonferenzen und Webinare. Es ist wieder DMEA in Berlin.

Nach zwei Jahren persönlicher Messe-Pause betrete ich an diesem Dienstag das erste Mal wieder eine Messe. Ich treffe alte Bekannte und Menschen, die mir bis jetzt nur digital ans Herz gewachsen sind – erstaunlich wie sie live aussehen.

Ich freue mich sehr auf die Gespräche und hoffe auf viele zufällige Gespräche – sich positivem Zufall aussetzen ist mein Mantra auf solchen Veranstaltungen. Tatsächlich dominieren geplante Gespräche und eine spannende Session zum (nicht gehobenen) Nutzen der ePA.

Welcher Eindruck bleibt? Wir rennen Vorgaben hinterher.
Das KHZG und ein anhaltender Digitalisierungshype befeuern die Branche. Viele Lösungen sind gleichgeschaltet, Wording und Marketing-Phrasen auch. Klar: Standardisierung, modular, Plattform, moderne Schnittstellen und Erfüllung aller MUSS-Kriterien des KHZG sowieso.

Schonmal umgesetzt? In deutschen Krankenhäusern bereits im Einsatz?
Auch bei der DMEA gilt, was auf anderen Messen gilt: Man kreiert Visionen und bläht Prototypen und Machbarkeitsanalysen zur gelebten Praxis auf. Und man redet der konsentierten Zielvorstellung nach dem Mund. Klar alles möglich und zwar mit jedem, alles FHIR – tatsächlich? Nein, aber bald.

Die Krankenhäuser in Deutschland haben einen hohen Digitalisierungsdruck und die Bereitschaft viele (Förder-)Gelder in die Hand zu nehmen erzeugt eine Nachfrage, die die Angebote formt. Mein Eindruck: Die Anbieter folgen diesem Druck in einer betriebswirtschaftlichen Natürlichkeit, die man ins Lehrbuch drucken könnte – im Zweifel verkauft man Versprechen, die es noch einzulösen gilt. Man wird sich in den nächsten Jahren mit Lösungen zufriedengeben, die zwar grüne Haken auf den Checklisten erzeugen, die aber nicht zu einer nachhaltigen Transformation zu einem digitalen – im Idealfall vom Plattform-Gedanken geprägten – Gesundheitswesen führen.

Eigentlich hatte ich gehofft von den neuen Möglichkeiten zu berichten, die die findigen Hersteller als Antwort auf die Vorgaben des Fördertatbestands 2 geschaffen haben, doch trotz interessanter Gespräche und Lösungen bleibt bei mir ein Eindruck: Alle Beteiligte rennen und man wendet unglaublich viel Ressourcen auf, aber keiner orchestriert den Weg. Die Gesetzgebung schafft ein Korsett, die gematik Spezifizierungen, die Hersteller erfüllen Vorgaben (ohne die zeitliche Chance zu haben nach Nutzen, Prozessen oder Change-Prozessen zu optimieren) und der Leistungserbringer ist froh, wenn er irgendwie grüne Haken erzeugt. Alternativlos, überfordert (nicht intellektuell sondern mangels personeller Ressourcen) und eingelullt im Marketingeinheitsbrei der Anbieter. Die einzelnen Lösungen sind gut – aber ich sehe nicht wie wir mit diesen mittelfristig und in Richtung der angestrebten Vision konvergieren.

Die Abschlusssession zur ePA an diesem Tag ist sich einig:
Nutzen der ePA? Aktuell 0.
Die Zielversion? Attraktiv.
Der Weg? Unklar, herausfordernd und keine Führung in Sicht.

Mehr Kommunizieren, die Politik befähigen und bearbeiten, mit der Technik, die man hat arbeiten, Mehrwerte aufzeigen, UX in den Vordergrund stellen, Kooperation nutzen, pragmatische Lösungen im Datenschutz finden. Jeder einzelne hat eine gute Lösung. Selbst im Plenum ist man sich auf diesem Abstraktionsniveau einig. Aber ist eine konstruktive oder gar disruptive Lösung praktisch greifbar? Eher nicht. Ein Redner prognostizierte 237 Jahre bis zur vollständigen Verbreitung der ePA. Ich hoffe auf schnellere Lösungen, aber mir fehlt aktuell die Fantasie, wie verhindert werden kann, dass unglaublich viel Geld dafür verbrannt wird Second-best-Lösungen zu implementieren, die Vorgaben erfüllen und glänzen, anstatt nachhaltige Lösungen die am Nutzen, den Prozessen und einem am Plattform-Gedanken angelehnten Grundsystem ausgerichtet sind, zu erschaffen.

Einen Gang zurückschalten und einen sinnvollen Weg suchen, anstatt dem Glanz einer schönen neuen Welt nachzurennen habe ich mir als Erkenntnis für heute in mein Patiententagebuch mit KI-Chatbot geschrieben. Seitdem empfiehlt er mir ein Beratungsgespräch in meiner Nähe oder per Videosprechstunde auf meinem Wearable...

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