Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege? Es wird Zeit!

Wichtigkeit ≠ Wertschätzung
In NRW wie in vielen Bundesländern wurden Anfang letzter Woche Schulen und Kitas geschlossen. Nur Kinder, deren Eltern Justizbeamte, Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte oder Pflegende sind werden Not-betreut. Die fundamentale Wichtigkeit dieser Berufsgruppen für unser gesellschaftliches Zusammenleben steht gerade in der jetzigen Ausnahmesituation außer Frage. Warum überträgt sich dies nicht auch auf die Wertschätzung in Form attraktiver Arbeitsbedingungen der genannten Berufsgruppen?

Hohes Ansehen, große Belastung, niedrige Bezahlung, geringe Attraktivität
Tatsächlich rangieren die genannten Berufsgruppen auf den ersten Plätzen der Liste der angesehensten Berufsgruppen Deutschlands. Keine andere Berufsgruppe konnte es in die Top 5 schaffen, dennoch müssen sich Feuerwehr und Polizei zunehmend mit Anfeindungen auseinandersetzten. Nach Angaben der Bundesregierung gab es 700 registrierte tätliche Angriffe auf Rettungskräfte allein im Jahr 2018. Auch die Gewalttaten gegen Ärzte und Pflegende nehmen zu. Das ist die Spitze des Eisbergs, der sich aus der Verrohung der Gesellschaft aber auch mangelnder Wertschätzung gegenüber den genannten Berufsgruppen ergibt. Dabei kann Wertschätzung in verschiedener Art und Weise zum Ausdruck gebracht werden. Kommuniziertes Ansehen ist eine Sache, eine gute Bezahlung und die Bekämpfung von Stereotypen eine andere. Sie kommt auch in der Schaffung von adäquaten Rahmenbedingungen zum Ausdruck, die es ermöglichen, in einer physisch und psychisch gesunden Weise seiner Arbeit nachkommen zu können.

Das ist in der Pflege erwiesenermaßen leider vielerorts (noch) nicht der Fall. Empirisch gesichert sind überdurchschnittliche Krankheits- und Fluktuationsquoten, sowie eine geringe Verlässlichkeit bei der Dienstplanung. Ungewollte Teilzeit und die Flucht aus dem Beruf, um der Belastung und den familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen zu entfliehen, sind in kaum einer anderen Berufsgruppe in diesem Ausmaß zu beobachten. Dabei fehlen je nach Rechnung mehrere hunderttausend Pflegekräfte; Stellen bleiben unbesetzt und dank einer alternden Bevölkerung und der Babyboomergeneration auf dem Weg in die Rente wird sich die Lage weiter verschärfen.
Es ist Zeit zu handeln!

Was muss sich ändern?
Die Formel ist einfach: Mehr! – Mehr Personal, Mehr Geld, Mehr Ausbildung, Mehr Verantwortung und vielleicht sogar Mehr Digitales. Dies ist auch das Credo der Regierung (genauer BMG, BMAS und BMFSFJ) und wesentlicher Akteure aus dem Bereich Pflege. Unter dem Label „Konzertierte Aktion Pflege“ versuchen sie durch ein abgestimmtes Maßnahmenpaket dieses „Mehr“ in differenzierter Weise zu erreichen. Das reicht von Mindestlöhnen bis zu „intelligenten Pflegewagen“, von Informations- und Öffentlichkeitskampagnen bis zur Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland und es geht um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutzstandards, betriebliche Gesundheitsförderung, verlässliche Dienstpläne, Fort- und Weiterbildung von Führungskräften in der Pflege und um die verbesserte Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf.

Die Liste der Akteure der KAP ist lang: Länder, Kommunen, Pflegeberufsverbände, Pflegekammern, Verbände der Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, Kirchen, Pflege- und Krankenkassen, Betroffenenverbände, Berufsgenossenschaften, die Bundesagentur für Arbeit sowie Sozialpartner haben sich angeschlossen und detaillierte Ziele und Maßnahmen definiert sowie sich zu ihrer Umsetzung verpflichtet. Diesen Sommer wird der erste Zwischenbericht erstellt, der die Umsetzungsstände der auf über 180 Seiten aufgeführten Ziele und Maßnahmen darstellt. Man darf gespannt sein, ob die hohen Erwartungen gerechtfertigt sind – die angemessene Versorgung von zukünftig 4,5 Millionen Leistungsbeziehern steht auf dem Spiel.

Veränderung ist kein Selbstläufer
Trotz der vielen Aktionen und Maßnahmen ist der Erfolg nicht garantiert. Die vereinbarten Maßnahmen müssen ihre Umsetzung und Wirksamkeit erst noch nachweisen und die konkrete Umsetzung muss durch die Protagonisten in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern selbst geschehen. Träger und Entscheider müssen jetzt die geänderten Rahmenbedingungen nutzen, um die Arbeitsbedingungen in ihren Einrichtungen zu verbessern. Nicht aus Altruismus, sondern allein schon aus der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit von Personalbindung und -gewinnung in Zeiten des Fachkräftemangels.

Eine verlässliche und faire Dienstplangestaltung ist dabei ein essenzieller Baustein, an dem jeder arbeiten kann, unabhängig von Förderungen und Aktionen. Gleiches gilt für die Einhaltung von Grundsätzen guter Führung und Kommunikation. Aber nicht nur die Träger und Leitungskräfte stehen in der Pflicht, auch jeder von uns – ob im Kontakt oder ohne Berührungspunkte zur Pflege – sollte sich einmal ernsthaft mit dem Beruf sowie seinem Stellenwert in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, gegebenenfalls Vorurteile überdenken und als Multiplikator und demokratisches oder pädagogisches Element agieren.

R-E-S-P-E-C-T
Wertschätzung und Respekt darf nicht ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben. Änderungen der Rahmenbedingungen und ein gesellschaftliches Umdenken sind notwendig. Diskutieren Sie das Thema Arbeitsbedingungen in der Pflege doch einmal mit Bekannten, die nicht aus dem Gesundheits- oder Sozialwesen kommen! Stehen Sie in der politischen Debatte für Verbesserungsmaßnahmen im Bereich Pflege ein! Haben Sie die Arbeitsbedingungen der professionell Pflegenden im Hinterkopf und danken Sie ihnen für ihre aufopfernde Arbeit, wenn Sie das nächste Mal in Kontakt treten! Und sollten Sie vielleicht selbst in der Position sein, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzustoßen zu können: Seien Sie mutig – jetzt ist die Zeit zu handeln.

Jeder kann einen Beitrag leisten
Im Großen wie im Kleinen – das ist meine Überzeugung.

Ich habe mir vorgenommen, meinem Sohn den Pflegeberuf als einen der ehrenwertesten Berufe vorzustellen, wenn er alt genug ist. Bis dahin unterstütze ich alle Aktionen, die dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege auch aller Ehren wert sind.