KHZG – Von Richtlinien und Linienrichtern

Das Krankenhauszukunftsgesetz hat seit seiner Ankündigung im Frühjahr, insbesondere wegen der in Aussicht gestellten 4,3 Mrd. € zusätzlicher Fördermittel die Fantasien der Digitalisierer im Gesundheitswesen angeregt. Unzählige Konzepte und Digitalisierungspläne wurden auf- und Antragsverfahren vorbereitet. Allerdings hatten die begonnenen und notwendigen Prozesse einen Makel. Strategie und Spieler waren zwar bekannt, aber die Festlegung der Spielregeln stand noch aus. Es fehlten Richtlinie und Linienrichter. Seit dem 30.11.2020 legt die „Richtlinie zur Förderung von Vorhaben zur Digitalisierung der Prozess und Strukturen im Verlauf eines Krankenhausaufenthaltes von Patienteninnen und Patienten“ die Regeln minutiös fest. Wer den Titel für überspezifiziert, lang und etwas praxisfern hält, sollte sich nicht die Muss-Kriterien der elf Fördertatbestände zu Gemüte führen.

Wir senden damit das klare Signal: Deutschlands Krankenhäuser sollen stark bleiben!“ (Bundesgesundheitsminister Jens Spahn)

Drei Stufen auf einmal, aber bitte die Füße geschlossen halten!
Da schließe ich mich Jens Spahns Wunsch an und übertrage ihn auf die Lektüre der Förderrichtlinie: Bleiben Sie stark! Hunderte kluge Köpfe haben sich in den letzten Monaten unzählige kluge sowie sinnvolle Konzepte und Digitalisierungsprojekte im Geiste und in Aussicht auf die Förderung durch das KHZG ersinnt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur einer einen der aufgeführten Fördertatbestände komplett erfüllt. Nicht weil diese abstrus oder unsinnig wären, sondern einfach weil sie in ihrer Ausgestaltung, trotz massiver Kritik an vorab vorliegenden Entwürfen, ambitioniert und extrem spezifisch sind. Patientenportale müssen beispielsweise Aufnahme-, Behandlungs-, Überleitungs- und Entlassungsmanagement enthalten. Bietet ein irgendwie geartetes Patientenportal keinen Lageplan des Krankenhauses oder ist eine digitale Anamnese von zu Hause aus nicht möglich, ist die Plattform nicht förderfähig. Die Bandbreite an sinnvollen Portalen, die einzelne dieser Features nicht aufweisen ist groß. Zugegeben die meisten Konzepte oder sogar bestehende Portale können diesbezüglich leicht angepasst werden, aber wie sieht es mit dem Anschluss von KIS, ERP und ePa aus? Sicherlich wünschenswert, aber für viele Häuser bedeutet dies direkt mehrere Stufen auf einmal zu nehmen. Reicht die Fitness dazu aus? Und wer beurteilt eigentlich, wann und nach welchem Verfahren, ob die geforderten Eigenschaften im ausreichenden Maße erfüllt sind? Die Benennung des Linienrichters, seiner Einsatzzeiten und seines Arbeitsmodus stehen noch aus. Den Spielern bleibt nichts anderes übrig als motiviert aufs Tor zuzulaufen und zu hoffen, dass mit sportlichem Verhalten und bester Motivation (den Regelkatalog zu erfüllen), das Ziel erreicht wird.

Wie geht das Spiel aus?
Natürlich stört es mich, dass auch ich meine Konzepte der letzten Monate anpassen und umschreiben muss. Zeit- und Aufwandsschätzungen verschieben sich, Versprechen und Hoffnungen müssen relativiert werden. Das nervt.

Aber wechseln wir die Perspektive und versuchen vorherzusagen, wie das KHZG und die Ausführungsmodalitäten in Form der Richtlinie die Zukunft der Krankenhauslandschaft beeinflussen. Gehen wir davon aus, dass die 4,3 Mrd. € am Ende mehr überzeugen, als die Einschränkung nur elf verschiedene Digitalisierungsprodukte als Spiegel der elf Fördertatbestände refinanziert zu bekommen, abhalten kann. Dann bedeutet dies eine enorme Umwälzung und einen Paradigmenwechsel in der digitalen Krankenhauslandschaft. Seit Jahren wünschen sich alle Beteiligten einheitliche Datenformate und Schnittstellen. Patienten wünschen sich einheitliche Prozesse und digitale Begleitung im Gesundheitswesen. Beides könnte nach Jahren des steten Tropfens nun in wenigen Jahren im Schwall über den Krankenhaussektor hereinbrechen. Die Fördertatbestände sind teilweise sehr ambitioniert, die größte Revolution steckt aber im „Zwang“ zur Interoperabilität, d. h. Nutzung internationaler Standards und Schnittstellen.

Dass in wenigen Jahren das Gesundheitswesen sich über Sektorengrenzen hinweg „versteht“; dass Patienten die Hoheit über ihre Daten haben und diese mit Leichtigkeit zur Verfügung stellen können; dass Redundanzen und Dokumentationswahnsinn abgebaut werden – all das ist plötzlich nicht mehr eine ferne Vision, sondern naheliegendes Ergebnis der bald startenden Projekte, gefördert durch das KHZG. Diesen Torschuss wird allerdings nicht jedes Haus abfeuern können.

Verlierer ist, wer schon vorher abgehängt war und nicht in der Lage ist mehrere Stufen auf einmal zu nehmen. Was mit diesen Häusern passiert ist auch schon im Gesetz hinterlegt. Der kalte Strukturwandel wird ergänzt um einen Sudden-Death-Modus in Form der Strafzahlungen 2025 für nicht hinreichend digitalisierte Häuser.

Ich hoffe, dass diese Maßnahmen nur wenige Häuser treffen. Ich hoffe, dass pfiffige IT-Dienstleister ihre Produktpalette schon bald ausgedünnt und die elf gefragten Produkte in Rekordzeit mit Rundum-Sorglos-Service anbieten. Ich hoffe, dass Digitalisierungsträume wahr werden.

Bis dahin überarbeite ich meine Konzeptpapiere und halte nach dem Linienrichter Ausschau.

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