Kommunikationsprobleme 4.0 – Turmbau zu Babel in der IT?

Das in den Medien gezeichnete Bild des technischen Fortschritts im Bereich der Datenanalyse und der künstlichen Intelligenz legt die Vermutung nahe, dass es ein Leichtes ist, bestehende Unternehmensdaten über verschiedene Systeme hinweg konsistent und redundanzfrei zu pflegen und daraus prägnante, erkenntnisreiche Auswertungen zu erstellen.
Gerade im Gesundheits- und Sozialwesen ist dies eine Herausforderung, die häufig an den Schnittstellen, also der Kommunikationsfähigkeit der Systeme untereinander, scheitert. In der Auseinandersetzung mit der Problematik kommen mir regelmäßig die Worte aus der Geschichte zum Turmbau zu Babel in den Sinn:

Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht“ (Gen 11,1–9)

Sprachbarrieren in allen Welten
Man schätzt, dass die Menschen weltweit ca. 6500 verschiedene Sprachen sprechen. Wählt man zwei Personen zufällig aus, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihre Kommunikation durch diesen Unterschied eingeschränkt wird. Im Alten Testament wird in der Erzählung zum Turmbau zu Babel geschildert, wie es zu dieser Sprachverwirrung gekommen sein soll. Ob religiös oder nicht, seit jeher suchen Menschen nach Wegen, über Sprachbarrieren hinweg zu kommunizieren. Es gibt Wörterbücher, Dolmetscher, Sprachkurse und sogar diverse Ansätze zu universellen Plansprachen.

Häufig erscheint mir die Welt der Softwaresysteme ähnlich gestrickt zu sein. Es gibt eine Vielzahl von Sprachen und Kommunikationsmitteln. Wählt man zwei Softwaresysteme, beispielsweise die Software zur Personalplanung und die der Leistungsabrechnung eines Altenhilfeträgers, so ist es eher unwahrscheinlich, dass diese problemlos miteinander kommunizieren können. Auch hier gibt es diverse Ansätze, die Barrieren zu überwinden und tatsächlich fußt das Geschäftsmodell zahlreicher Systemintegratoren auf der Lösung dieses Kernproblems.

Eine Vision – oder eine konsequente Umsetzung
Dabei könnte es so einfach sein. Mit dem Aufkommen des Internets und der Entwicklungskaskade vom Web 1.0 zum Web 4.0 (vgl. Grafik) wurde die Vernetzung und Kommunikation von Systemen, sogar über den Globus hinweg, immer weiter vorangetrieben. Das Versprechen des Web 4.0 und der Industrie 4.0 sind Maschinen, die intelligente Entscheidungen treffen und selbstverständlich untereinander alle notwendigen Informationen austauschen.

Gegeben der fantastischen Möglichkeiten, die in den Prospekten der Softwarehersteller und auf Technikblogs zu finden sind – ist es da übertrieben von Softwaresystemen zu fordern, dass sie relevante Daten konsistent austauschen und dem Anwender transparent zur Verfügung stellen? Aus meiner Sicht nicht! Für mich ist dies nur die konsequente Umsetzung der aktuellen technischen Möglichkeiten und formulierter Herstellerversprechen.

In meiner Idealvorstellung einer Softwarelandschaft in einem Unternehmen (der Gesundheits- und Sozialwirtschaft) erfüllt jede Software die Aufgabe, für die sie angeschafft wurde, als Teil eines harmonisierten Gesamtsystems. Die Informationen und Daten, die sie dabei benötigt, werden vollautomatisch mit den anderen Applikationen abgeglichen und konsistent gehalten. Datenredundanz oder manuelle Doppelpflege sind obsolete Fremdworte. Jeder Anwender (und jedes System) hat im Rahmen seiner Zugriffsrechte über eine einheitliche Schnittstelle Zugang zu allen relevanten Informationen und Daten.

Ob die technische Lösung der Vision darin besteht, dass alle Systeme die gleiche Sprache sprechen oder es einen Universalübersetzer gibt sei dahingestellt. In der analogen Welt können als motivierende Beispiele für ersteren Ansatz vielleicht die praktischen Lösungsansätze der internationalen Forschungsgemeinschaft (alles auf Englisch, früher Latein) oder konstruierte Plansprachen, etwa Esperanto, dienen.

Realitätscheck
Leider sind wir im IT-Alltag des Gesundheits- und Sozialwesens weit von dieser Vision entfernt. Für jedes Problem gibt es ein eigenes System, häufig singulär, historisch gewachsen. Und selbst die großen Softwarehersteller, deren Systeme ein Portfolio an Anwendungen abdecken und mit einer Vielzahl von Schnittstellen ausgestattet sind, lassen sich nicht reibungsfrei über Anbietergrenzen hinweg zusammenschließen. Am Ende werden mit Excellisten und manueller Nachpflege Lücken geschlossen und suboptimale Lösungen zusammen geflickschustert.

Aber die Vision ist da und kann als langfristiges Ziel und Denkmuster fungieren. Der Weg dahin wirkt effizienzsteigernd und sollte Teil jeder IT- oder Digitalisierungsstrategie sein. Tatsächlich gaben in der Befragung zu einer empirischen Studie der Krankenhaus-IT von über 150 Krankenhäusern, die ich letztes Jahr durchgeführt habe, viele der Befragten an, im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie einen Fokus auf die Vernetzung und Homogenisierung bestehender Systeme zu setzen. Ich glaube, dass dieser Weg der kontinuierlichen Weiterentwicklung sowohl für die einzelnen Unternehmen als auch für die Hersteller sinnvoll ist.

Und wer weiß - vielleicht taucht schon bald ein universeller Ansatz auf. Im Bereich der menschlichen Sprachen scheinen digitale Universalübersetzer kurz vor ihrer globalen Verbreitung zu sein, wenn man Wissenschaftlern „Wir kommen damit dem Tag deutlich näher, wo Sprachbarrieren wirklich weltweit fallen“ (Alex Waibel vom KIT) und Digitalunternehmen „Sprechen Sie sofort in über 40 Sprachen“ (aus dem App-Store-Text von iTranslate Voice) glaubt.

Anbieter von API-Servern machen ein ähnliches Versprechen für die universelle Übersetzung von Schnittstellen – allerdings gilt für Maschinen und Menschen am Ende das Gleiche: Sich prinzipiell verstehen heißt noch nicht, aufeinander zu hören und zusammenzuarbeiten.